29.05.1993 / Der Tag des Anschlags
29. Mai 1993 wurde auf unsere Familie, die Familie Genç, in Solingen ein rassistischer Brandanschlag verübt. In der Nacht zündeten vier junge Männer unser Haus an. Die Täter verschütteten etwa drei Liter Benzin vor unserer Haustür und legten Feuer. Obwohl die Feuerwehr schnell vor Ort war, konnte sie uns nicht alle retten. Fünf geliebte Familienmitglieder wurden uns entrissen: Hülya Genç, Saime Genç, Hatice Genç, Gürsün Ince und Gülistan Öztürk. Weitere 14 Personen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.
Der Angriff auf unsere Familie reiht sich ein in eine Serie rassistischer Übergriffe in Deutschland Anfang der 1990er Jahre. Bereits im September 1991 wurden in Hoyerswerda Asylsuchende unter dem Beifall von Anwohner:innen aus ihren Unterkünften vertrieben und mit Brandflaschen und Steinen beworfen. Im August 1992 belagerten Rechtsextreme die Asylbewerberunterkünfte in Rostock-Lichtenhagen und setzten sie in Brand. Am 23. November 1992 verübten Neonazis in Mölln einen Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Familie, bei dem eine Frau und zwei Kinder ums Leben kamen.
Doch es gab und gibt sie: die Stimmen, die dagegenhalten und dem Rassismus nicht die Oberhand lassen. Die gesellschaftliche Reaktion auf den Anschlag war geprägt von Trauer und Wut. Tausende protestierten. Trotz der Trauer um ihre Kinder setzte sich unsere Mutter, Mevlüde Genç, nach dem Anschlag unermüdlich für Versöhnung und Verständigung ein. Für ihr Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz.
Özlem Genç sagte bei ihrer Rede zum 30-jährigen Gedenken über Mevlüde Genç:
Man wollte Angst und Furcht säen, doch sie, sie säte Mut und Hoffnung in die Herzen der Menschen. Sie wollten, dass die Menschen den Glauben an die Menschheit verlieren. Doch sie hat ihren Glauben nie verloren. Mit der Kraft des Glaubens – mit ihrem Imaan – hat sie Berge versetzt. Ja, Glauben kann Berge versetzen. Und sie: Sie ist mehr. Sie ist der Glaube. Und sie ist der Berg. Sie hat in voller Linie gegen den Hass triumphiert. Sie hat bewiesen, dass Liebe stärker ist als Hass
Aber es gilt auch zu mahnen. Auch nach Solingen gab es rassistische Anschläge. Noch immer gibt es Hetzreden, aus denen Brandsätze werden. Halle, Hanau, Mölln sind nur einige Beispiele. Beispiele, die uns mahnen, dass der Kampf gegen den Hass noch nicht gewonnen ist. Deshalb möchten auch wir, genau wie Mevlüde Genç, dass das Haus als ein Ort der Mahnung und des Zusammenkommens wiederaufgebaut wird.
Der Anschlag von Solingen und ähnliche Ereignisse erinnern uns daran, dass Hass nur zu Gewalt führt und dass wir uns gemeinsam für ein friedliches Miteinander einsetzen müssen. Mevlüde Genç e.V. steht für diesen unermüdlichen Kampf um Versöhnung und friedliches Zusammenleben.